Wirtschaft & Politik

Berufslehre in Deutschland: Eine traditionelle Erfolgsstory in der Krise

today16.04.2025

Hintergrund

Die berufliche Ausbildung in Deutschland steckt in einer tiefen Krise. Während die duale Ausbildung einst als deutsches Erfolgsmodell galt und international bewundert wurde, zeigen aktuelle Zahlen ein alarmierendes Bild: Über drei Viertel der arbeitslosen Jugendlichen haben keinen Berufsabschluss. Die Anzahl abgeschlossener Ausbildungsverträge sinkt kontinuierlich, während immer mehr junge Menschen den akademischen Weg einschlagen. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur die Zukunft des Ausbildungssystems, sondern bedroht langfristig auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und verstärkt den bereits spürbaren Fachkräftemangel.

Die erschreckenden Zahlen hinter der Krise

Berufslehre in Deutschland: Eine traditionelle Erfolgsstory in der Krise

Eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zeigt die dramatische Situation auf dem Ausbildungsmarkt: Im Dezember 2024 waren in Westdeutschland 193.600 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren arbeitslos, davon hatten 76 Prozent keinen Berufsabschluss. In Ostdeutschland sieht die Lage noch düsterer aus: Von den 59.300 arbeitslosen jungen Menschen hatten sogar 80 Prozent keine abgeschlossene Ausbildung.

Besonders besorgniserregend ist die Entwicklung seit 2010. Obwohl die Jugendarbeitslosenquote in Ostdeutschland um 1,7 Prozentpunkte gesunken ist, hatte damals noch jeder zweite arbeitslose Jugendliche einen Berufsabschluss. Der Anteil der Unqualifizierten hat sich also dramatisch erhöht. Im Westen blieb die Quote mit einem minimalen Anstieg von 0,2 Prozentpunkten auf 4,8 Prozent relativ stabil, doch auch hier verschlechtert sich die Situation seit der Corona-Krise deutlich.

IAB-Forscher Holger Seibert betont: „Im internationalen Vergleich fällt die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zwar relativ niedrig aus. Jugendliche ohne beruflichen Abschluss haben es aber schwer, Arbeit zu finden.“ Diese Entwicklung ist besonders alarmierend, da sie die Grundfesten des deutschen Ausbildungssystems erschüttert.

Ausbildungsmarkt im Wandel: Weniger Lehrstellen, mehr Passungsprobleme

Die Metall- und Elektroindustrie, einst Aushängeschild der deutschen Ausbildungslandschaft, verzeichnet bereits einen Rückgang der Ausbildungsverträge. Laut einer Umfrage von bayme vbm wird für 2025 ein Minus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr erwartet. Mehr als ein Drittel der Unternehmen geben an, keinen Bedarf an weiteren Auszubildenden zu haben, während fast 17 Prozent die schlechte wirtschaftliche Lage als Grund für weniger Verträge anführen.

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer von bayme vbm, fasst die Situation treffend zusammen: „Die anhaltende Konjunktur- und Strukturkrise wirkt sich inzwischen auch dämpfend auf den Ausbildungsmarkt aus.“ Gleichzeitig berichten aber über 50 Prozent der Firmen von Schwierigkeiten, geeignete Bewerber zu finden – ein klassisches Matchingproblem.

Der Trend zur Akademisierung

Ein weiterer Grund für die Krise der Berufslehre ist der anhaltende Trend zur Akademisierung. Immer mehr junge Menschen entscheiden sich für ein Studium statt für eine Ausbildung, weil sie sich davon bessere Karrierechancen und ein höheres gesellschaftliches Ansehen versprechen. Diese Entwicklung steht im starken Kontrast zur Situation in der Schweiz, wo die duale Berufsausbildung nach wie vor hoch angesehen ist.

Laut einer Auswertung des Schweizerischen Observatoriums für die Berufsbildung entscheiden sich in der Schweiz über 75 Prozent eines Jahrgangs für eine Berufsausbildung, während es in Deutschland nur noch 55 Prozent und in Österreich sogar nur 35 Prozent sind. Die Lehranfängerquote in Deutschland sinkt kontinuierlich, während sie in der Schweiz stabil bleibt.

Ein wesentlicher Unterschied: Die Schweiz hat ihr Berufsbildungssystem frühzeitig reformiert und die Durchlässigkeit erhöht. Die Einführung der Berufsmaturität und der höheren Berufsbildung hat dazu geführt, dass fast 60 Prozent aller Studierenden an Schweizer Fachhochschulen über einen Berufsbildungsabschluss verfügen. In Deutschland hingegen werden Reformen oft verschlafen, was das Image der Berufslehre nachhaltig beschädigt.

Demografischer Wandel verschärft die Probleme

Der demografische Wandel trifft die deutsche Ausbildungslandschaft hart. Während die Zahl der Schulabgänger sinkt, steigt gleichzeitig der Anteil derjenigen, die studieren wollen. Dies führt zu einem verschärften Wettbewerb um die verbleibenden Bewerber für Ausbildungsplätze.

Das Ifo-Institut hat festgestellt, dass 77 Prozent der deutschen Unternehmen Reformbedarf in der Berufsausbildung sehen. Die Betriebe stehen vor der Herausforderung, nicht nur mit den Hochschulen um talentierte junge Menschen zu konkurrieren, sondern auch neue Berufsbilder zu etablieren, die den Anforderungen der digitalen Transformation gerecht werden.

Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft warnt: „Die Jugendarbeitslosigkeit ist seit 2022 um 40 Prozent gestiegen – fast doppelt so stark wie die Arbeitslosigkeit insgesamt.“ Als Hauptgrund sieht er mangelnde Qualifikation vieler junger Menschen: „Fast drei Millionen Menschen unter 34 Jahren in Deutschland haben keine Ausbildung.“

Lösungsansätze: Was kann Deutschland von der Schweiz lernen?

Um die Krise der Berufslehre in Deutschland zu überwinden, sind tiefgreifende Reformen notwendig. Ein Blick in der Schweiz zeigt, dass eine hohe gesellschaftliche Wertschätzung der Berufsausbildung und ein durchlässiges Bildungssystem entscheidend für den Erfolg sind. In Deutschland könnte die Einführung ähnlicher Strukturen wie der Schweizer Berufsmaturität die Attraktivität der dualen Ausbildung steigern.

Auch finanzielle Anreize für ausbildende Betriebe könnten helfen. In der Schweiz fordert SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger Steuerabzüge für Ausbildungsbetriebe, um „die Attraktivität der Berufsbildung zu stärken“. Eine ähnliche Maßnahme könnte auch in Deutschland die Bereitschaft der Unternehmen erhöhen, trotz wirtschaftlich schwieriger Zeiten in die Ausbildung zu investieren.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz kritisiert zudem das deutsche Schulsystem scharf: Jährlich landen etwa 250.000 Jugendliche nach dem Ende ihrer Schulzeit im Übergangssystem, weil das Schulsystem ihnen nicht ausreichend funktionale Kompetenzen vermittelt habe. Hier müsste angesetzt werden, um jungen Menschen überhaupt erst die Grundlagen für eine erfolgreiche Ausbildung zu vermitteln.

Die Zukunft der Berufslehre in Deutschland

Die Berufslehre in Deutschland steht an einem Scheideweg. Entweder gelingt es, durch umfassende Reformen die Attraktivität der dualen Ausbildung zu steigern und sie an die Anforderungen der modernen Arbeitswelt anzupassen, oder das einst so erfolgreiche Modell verliert weiter an Bedeutung.

Die gute Nachricht: Mit einer Ausbildungsvergütung von durchschnittlich 1.347 Euro monatlich in der Metallbranche und Übernahmechancen von über 90 Prozent nach der Lehre bietet die duale Ausbildung nach wie vor gute Perspektiven. Diese Vorteile müssen stärker kommuniziert werden, um dem Image-Problem entgegenzuwirken.

Gleichzeitig ist es wichtig, die Liste der anerkannten Ausbildungsberufe kontinuierlich zu aktualisieren und an die Anforderungen des digitalen Wandels anzupassen. Nur so kann die Berufslehre in Deutschland eine Zukunft haben und ihren Beitrag zur Sicherung des Fachkräftebedarfs leisten.

Die Krise der Berufslehre in Deutschland ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die nur durch das Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft und Bildungsinstitutionen bewältigt werden kann. Die Zeit zum Handeln ist jetzt – bevor das deutsche Erfolgsmodell endgültig zum Auslaufmodell wird.

Geschrieben von: RadioMonster.FM