Weltgeschehen

Feindbild Journalist: Warum die Angriffe auf Medienschaffende so stark zugenommen haben

today16.04.2025

Hintergrund

Die körperlichen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland haben ein besorgniserregend hohes Niveau erreicht. Mit 98 dokumentierten Fällen allein im Jahr 2024 markiert die Gewalt gegen Medienschaffende einen neuen Höchststand seit Beginn der systematischen Erfassung. Besonders alarmierend ist, dass diese Übergriffe nicht mehr nur von organisierten extremistischen Gruppen ausgehen, sondern zunehmend aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Das Feindbild Journalist hat sich verfestigt und wird durch populistische Rhetorik weiter befeuert.

Die erschreckende Dimension der Medienschaffenden-Gewalt

Feindbild Journalist: Warum die Angriffe auf Medienschaffende so stark zugenommen haben

Eine aktuelle Studie des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) zeigt, dass die physischen Attacken auf Reporter und Fotografen besonders im Umfeld von Demonstrationen dramatisch zugenommen haben. Die Angriffe reichen von Beschimpfungen und Bedrohungen bis hin zu schweren körperlichen Verletzungen. Besonders häufig trifft es Medienschaffende, die über rechte Veranstaltungen oder Proteste berichten.

„Wir beobachten eine zunehmende Enthemmung“, erklärt ein Sprecher des ECPMF. „Die Hemmschwelle, Journalisten tätlich anzugreifen, sinkt kontinuierlich. Besonders beunruhigend ist, dass sich diese Entwicklung nicht mehr nur auf extreme Ränder beschränkt, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist.“

Systematische Delegitimierung der Presse

Die wachsende Gewalt gegen Medienschaffende ist kein isoliertes Phänomen, sondern das Ergebnis einer jahrelangen systematischen Delegitimierung der Presse. Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Systemmedien“ haben sich in Teilen der Bevölkerung fest etabliert und bereiten den Boden für physische Übergriffe.

Besonders problematisch ist die Rolle von Politikern und öffentlichen Personen, die mit ihrer Rhetorik zur Feindbildkonstruktion beitragen. Sarah Neu, Medienexpertin, fordert in einem Beitrag für das Magazin „Journalist“ eine kritische Selbstreflexion: „Medien müssen sich damit auseinandersetzen, wie sie mit der Verschiebung nach rechts umgehen und ob sie populistische Narrative unreflektiert reproduzieren.“

Globale Dimension der Bedrohung

Die Bedrohung von Journalisten ist kein rein deutsches Problem. Weltweit nehmen Repressionen gegen Medienschaffende zu. Besonders dramatisch ist die Lage in Konfliktgebieten wie dem Sudan, wo laut Reporter ohne Grenzen seit zwei Jahren systematisch gegen Journalisten vorgegangen wird, ohne dass die Täter mit Konsequenzen rechnen müssen.

Auch in Europa selbst wird die Lage schwieriger. Das ECPMF, das seit seiner Gründung in 177 Fällen juristische Nothilfe für Journalisten geleistet hat, warnt vor möglichen Kürzungen im sächsischen Doppelhaushalt 2025/2026, die ihre Arbeit gefährden könnten.

Die Rolle sozialer Medien

Ein wichtiger Faktor bei der Zunahme von Angriffen ist die Dynamik in sozialen Netzwerken. „Dort werden Journalisten oft gezielt markiert und als Feindbilder präsentiert“, erläutert ein Medienwissenschaftler. „Diese digitale Vorverurteilung führt dann bei Demonstrationen zu einer direkten Konfrontation, bei der Reporter nicht mehr als neutrale Berichterstatter, sondern als politische Gegner wahrgenommen werden.“

Besonders bedenklich ist die Rolle von Algorithmen, die kontroverse und polarisierende Inhalte bevorzugt ausspielen und damit zur Verhärtung der Fronten beitragen. Die digitale Echokammer verstärkt bestehende Vorurteile und erschwert einen sachlichen Diskurs.

Kontrollfunktion unter Druck

Eine aktuelle Studie, über die das Gewerkschaftsmagazin „MMM“ berichtet, zeigt, dass die Kontrollfunktion gegenüber Mächtigen als wichtigste Aufgabe von Journalisten angesehen wird. Doch genau diese demokratisch zentrale Funktion gerät durch die zunehmenden Angriffe unter Druck.

„Wenn Journalisten aus Angst vor Übergriffen nicht mehr frei berichten können, leidet darunter die gesamte demokratische Öffentlichkeit“, betont Bärbel Röben in ihrem Beitrag für verdi. „Freie Berichterstattung ist keine Selbstverständlichkeit, sondern muss aktiv verteidigt werden.“

Schutzmaßnahmen und Lösungsansätze

Angesichts der sich verschärfenden Lage werden Schutzmaßnahmen für Medienschaffende immer wichtiger. Viele Redaktionen haben inzwischen Sicherheitskonzepte entwickelt und schicken ihre Reporter nur noch in Teams zu potenziell gefährlichen Veranstaltungen. Auch spezielle Trainings für den Umgang mit bedrohlichen Situationen werden verstärkt angeboten.

Langfristig müssen jedoch die gesellschaftlichen Ursachen der Gewalt gegen Journalisten angegangen werden. „Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Anstrengung, um das Vertrauen in den unabhängigen Journalismus zu stärken“, fordert ein Vertreter des Deutschen Journalisten-Verbands. „Dazu gehört eine konsequente strafrechtliche Verfolgung von Übergriffen ebenso wie eine verstärkte Medienbildung in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.“

Ausblick: Demokratie unter Druck

Die zunehmenden Angriffe auf Journalisten sind ein Symptom für eine tiefer liegende Krise der demokratischen Öffentlichkeit. Wenn die vierte Gewalt im Staat ihre Kontrollfunktion nicht mehr ungehindert ausüben kann, hat das weitreichende Folgen für das gesamte demokratische System.

„Die Pressefreiheit ist ein Grundpfeiler der Demokratie“, mahnt ein Sprecher des ECPMF. „Wenn dieser Pfeiler wackelt, ist das gesamte Gebäude in Gefahr.“ Die kommenden Monate und Jahre werden zeigen, ob es gelingt, diese besorgniserregende Entwicklung umzukehren und den Journalismus als unverzichtbares Element einer funktionierenden Demokratie zu schützen.

Geschrieben von: RadioMonster.FM