Musik

Klangreisen ins Erhabene: Neue Aufnahmen des SWR Vokalensembles unter Yuval Weinberg

today09.04.2025

Hintergrund

Zwischen zeitgenössischer Innovation und spiritueller Tradition bewegen sich die neuen Aufnahmen des SWR Vokalensembles unter der Leitung von Yuval Weinberg. Mit Werken von Stefano Gervasoni und Alfred Schnittke präsentiert das Ensemble zwei unterschiedliche Ansätze sakraler Chormusik, die durch ihre herausragende Interpretation zu faszinierenden Klangreisen werden. Beide Aufnahmen offenbaren eine beeindruckende könstlerische Qualität und zeigen das Vokalensemble auf höchstem Niveau.

Gervasonis „De tinieblas“ – Eine Erkundung der Dunkelheit

Klangreisen ins Erhabene: Neue Aufnahmen des SWR Vokalensembles unter Yuval Weinberg
Katinka Hustad, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons

Stefano Gervasonis 2020 komponiertes Chorwerk „De tinieblas“ beschäftigt sich intensiv mit dem Konzept der Dunkelheit und dem Übergang vom Nichts ins Ungewisse. Der Titel bezieht sich auf die liturgische Tradition der Tenebrae (lateinisch für „Finsternis“), die den Tod Christi durch das sukzessive Erlöschen von Kerzen symbolisiert. Als textliche Grundlage dienen José Ángel Valentes „Tres lecciones de tinieblas“, hermetische Verse, die ein eigenes Mysterium zwischen Werden und Vergehen, zwischen Licht und Leere erschaffen.

Die Komposition für Chor und Elektronik kreiert eine faszinierende raumzeitliche Entgrenzung des Hörens. Der Hörer wird zunächst von Atemgeräuschen empfangen, bevor ein psalmodierender Tenor einsetzt. Die elektronischen Elemente, die vom IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) beigesteuert wurden, verstärken und erweitern den Live-Chorklang zu einem immersiven Klangerlebnis.

In der Ersteinspielung unter Weinberg zeigt das SWR Vokalensemble seine außergewöhnliche Klangvielfalt. Die Sängerinnen und Sänger bewegen sich mühelos zwischen stratosphärischen Klangkonstellationen von unglaublich beeindruckender Schönheit und Passagen von gleißender Schärfe. Die polyphone Struktur wechselt zwischen individuellen und kollektiven Gesangselementen, was in einem ekstatischen Höhenflug kulminiert. Die Aufnahme fängt die Intensität und Nuancen dieser komplexen Komposition perfekt ein.

Schnittkes „Konzert für Chor“ – Brücke zwischen Ost und West

Im Kontrast zu Gervasonis experimentellem Ansatz steht Alfred Schnittkes „Konzert für Chor“ von 1985, das traditionellere Formen aufgreift. Schnittke, bekannt für seinen polystilistischen Ansatz, verbindet hier die orthodoxe Gesangstradition mit westlichen Stilelementen. Das Werk orientiert sich an den großen Chorkonzerten des 18. Jahrhunderts und schafft eine Brücke zwischen verschiedenen musikalischen Welten.

Yuval Weinberg und das SWR Vokalensemble interpretieren Schnittkes Werk mit bemerkenswerter Klarheit und Elastizität. Die subtile harmonische Beleuchtung des archaisierenden Tonsatzes wird präzise herausgearbeitet, was zu einer stillen Faszination führt und Ahnungen von Transzendenz vermittelt. Die Aufnahme umfasst zudem Werke von Artemy Vedel und Dmitry Bortniansky, die den historischen Kontext von Schnittkes Komposition verdeutlichen und einen interessanten Vergleich ermöglichen.

„Die Interpretation unter Weinberg besticht durch ihre Ausgewogenheit“, erklärt ein Kritiker der Stuttgarter Zeitung. „Der Chor bewegt sich mit großer Sensibilität durch die komplexen harmonischen Strukturen und bringt die spirituelle Dimension des Werkes zum Leuchten.“

Zwei komplementäre Klangwelten

Die beiden Aufnahmen repräsentieren unterschiedliche Ansätze zur sakralen Musik: Während Gervasoni mit elektronischen Mitteln und experimentellen Klangfarben arbeitet, greift Schnittke auf traditionellere Formen zurück und transformiert sie durch seine einzigartige musikalische Sprache. Gemeinsam ist beiden Werken die Erkundung spiritueller Dimensionen und die Suche nach Transzendenz im Klang.

Das SWR Vokalensemble unter Yuval Weinberg erweist sich als idealer Interpret für beide Welten. Mit technischer Präzision und emotionaler Tiefe bringen sie sowohl die avantgardistischen Klangexperimente Gervasonis als auch die subtilen harmonischen Schichtungen Schnittkes zum Leben. Die Aufnahmequalität beider CDs ist hervorragend und ermöglicht es, selbst feinste Details der komplexen Strukturen wahrzunehmen.

Wenn du dich für zeitgenössische Chormusik oder spirituelle Klangwelten interessierst, bieten diese Aufnahmen einen faszinierenden Einblick in zwei unterschiedliche, aber gleichermaßen beeindruckende Ansätze. Die CDs sind über Kairos (Gervasoni) bzw. SWR music (Schnittke) erhältlich und stellen wichtige Beiträge zur Diskografie anspruchsvoller Chormusik dar.

Geschrieben von: RadioMonster.FM