Wirtschaft & Politik

Religiöse Sekte scheitert: Können Kinder wegen ‚Todsünde‘ vom Schwimmunterricht befreit werden?

today16.04.2025

Hintergrund

Ist Schwimmen eine Todsünde? Ein Ehepaar aus Freiburg hat mit dieser ungewöhnlichen Begründung versucht, seine Kinder vom schulischen Schwimmunterricht befreien zu lassen. Als Mitglieder der palmarianischen Kirche, einer katholischen Mini-Sekte mit weltweit nur etwa 10.000 Anhängern, berufen sie sich auf strenge religiöse Bekleidungsvorschriften. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat ihrer Klage nun eine deutliche Absage erteilt – und damit eine grundsätzliche Entscheidung im Spannungsfeld zwischen Religionsfreiheit und staatlichem Bildungsauftrag getroffen.

Wenn religiöse Regeln auf staatliche Bildungspflicht treffen

Religiöse Sekte scheitert: Können Kinder wegen 'Todsünde' vom Schwimmunterricht befreit werden?

„Ich würde schon beim Betreten des Schwimmbades eine Todsünde begehen“, erklärte die 36-jährige Mutter vor Gericht. Die strengen Kleidungsvorschriften ihrer Glaubensgemeinschaft erlauben es nach ihrer Darstellung nicht, sich in einem Schwimmbad aufzuhalten – selbst in einem Burkini oder mit Schwimmsocken nicht. Der Streit zwischen Familie und Schulbehörde begann bereits 2021 und betraf ursprünglich drei Kinder, von denen mittlerweile zwei nicht mehr an der betreffenden Schule sind.

Die Vorsitzende Richterin Gabriele Kraft-Lange betonte in ihrer Urteilsbegründung das Aufeinandertreffen verschiedener Grundrechte: „Hier stehen das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht – einschließlich des religiösen Erziehungsrechts – auf der einen und der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag sowie die Integration durch Schule auf der anderen Seite.“ Besonders hob sie die lebenspraktische Bedeutung des Schwimmens hervor: „Die Fähigkeit zu schwimmen kann Leben retten.“

Die palmarianische Kirche, gegründet in den 1960er Jahren im spanischen El Palmar de Troya, ist eine Abspaltung von der katholischen Kirche mit eigenem Papst und „Vatikan“. Die Glaubensgemeinschaft erkennt keinen Papst nach Paul VI. an und wurde von diesem 1983 exkommuniziert. Für ihre Mitglieder gelten strenge Verhaltensregeln – Fernsehen gilt beispielsweise als „Teufelszeug“, das vom Beten des Rosenkranzes ablenkt.

Das „vierte Gebot der Kirche“ verlangt von den Gläubigen, anständig gekleidet zu sein und Orte mit „schamlosen Zurschaustellungen“ zu meiden. Die Eltern der betroffenen Kinder berichteten vor Gericht, dass ihre Kinder zwar am regulären Schulunterricht teilnehmen dürfen, jedoch außerhalb der Schule nur mit Gleichaltrigen umgehen dürfen, die ebenfalls den Vorschriften ihrer Glaubensgemeinschaft entsprechen. Das bedeutet etwa das Tragen von Röcken für Mädchen sowie langärmige und hochgeschlossene Kleidung für alle Kinder.

Schwimmen als Überlebensfähigkeit

Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) warnt seit Jahren vor den Folgen mangelhafter Schwimmfähigkeiten bei Kindern. Der Anteil der Nichtschwimmer unter Sechs- bis Zehnjährigen ist in den letzten Jahren auf 20 Prozent gestiegen – eine alarmierende Entwicklung. Im vergangenen Jahr ertranken in Deutschland mindestens 411 Menschen.

DLRG-Präsidentin Ute Vogt hofft, dass diese Zahlen das öffentliche Bewusstsein für die Wichtigkeit des Schwimmenlernens schärfen: „Dieses Ergebnis sensibilisiert hoffentlich möglichst viele Menschen für die bevorstehende warme Jahreszeit.“ Ihre Organisation betont, dass der Rückgang der Schwimmfähigkeit vor allem auf fehlende Bäder zurückführen sei – und nicht auf ideologische Gründe.

Rechtliche Perspektiven und gesellschaftliche Dimension

Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräftig; die Familie hat nach Erhalt der schriftlichen Entscheidung einen Monat Zeit, um Rechtsmittel einzulegen. Dies könnte den Fall vor den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg bringen.

Das Regierungspräsidium Freiburg begrüßt die Entscheidung des Gerichts und betont, dass das staatliche Bestimmungsrecht im Bildungswesen in diesem Fall nicht hinter dem religiösen Erziehungsrecht zurücktrreten müsse. Nach dem Schulgesetz seien Eltern verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder am Unterricht teilnehmen.

Interessant ist auch die mediale Wahrnehmung des Falls. Während ähnliche Streitigkeiten bei muslimischen Familien in der Vergangenheit bundesweite Debatten über Integration auslösten und in zahlreichen Talkshows thematisiert wurden, erhielt dieser Fall einer christlichen Splittergruppe vergleichsweise wenig öffentliche Aufmerksamkeit.

Über die Mitgliederzahlen der palmarianischen Kirche gibt es unterschiedliche Angaben: Während im Jahr 2000 noch von etwa 10.000 weltweiten Mitgliedern die Rede war, soll die Zahl 2011 auf nur noch 1.500 gesunken sein. Die Gemeinschaft finanziert sich durch Spenden und verlangt von ihren Mitgliedern einen Zehnten. Züglich gibt es Regelungen, die verhindern sollen, dass Vermögen an externe Personen oder Institutionen vererbt wird – Immobilien sollen verkauft und der Erlös der Kirche zugeführt werden.

Geschrieben von: RadioMonster.FM