Wirtschaft & Politik

Von RAF-Terroristin zur Friedensaktivistin: Silke Maier-Witts schmerzhafte Selbstbefragung

today21.03.2025

Hintergrund

Fast ein halbes Jahrhundert nach dem „Deutschen Herbst“ blickt eine der meistgesuchten RAF-Terroristinnen in einer schonungslosen Autobiografie auf ihr Leben zurück. Silke Maier-Witt, einst beteiligt an der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, hat mit „Ich dachte, bis dahin bin ich tot“ ein Werk vorgelegt, das durch seine schmerzhafte Ehrlichkeit besticht. Anders als viele ehemalige RAF-Mitglieder relativiert die heute 75-Jährige ihre Schuld nicht, sondern stellt sich den dunklen Kapiteln ihrer Vergangenheit mit bemerkenswerter Offenheit.

Der Weg in den Terrorismus

Von RAF-Terroristin zur Friedensaktivistin: Silke Maier-Witts schmerzhafte Selbstbefragung

Maier-Witt beschreibt in ihrer Autobiografie eine Jugend, die von emotionaler Kälte geprägt war. Diese frühen Erfahrungen trugen zu ihrer späteren Radikalisierung bei, wie sie selbstkritisch reflektiert. Die Frage, warum sie 1977 in die RAF eintrat, obwohl sie um deren Gewaltbereitschaft wusste, treibt sie bis heute um. In ihrem Buch nennt sie die Suche nach Zugehörigkeit, Anerkennung und der Wunsch nach einer gerechteren Welt als treibende Kräfte – erkennt jedoch an, dass diese Erklärungen für das Ausmaß ihrer Beteiligung am Terrorismus nicht ausreichen.

Besonders erschütternd sind ihre Schilderungen aus dem Untergrund. An der Schleyer-Entführung war sie beteiligt, ebenso wie am gescheiterten Attentat auf NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig. Die moralischen Zweifel, die sie damals konsequent unterdrückte, kommen in ihrer Autobiografie deutlich zum Ausdruck. Mit heutiger Klarheit bezeichnet sie die damalige Erklärung zum Mord an Schleyer als „menschenverachtend“ und zeigt sich fassungslos über ihr früheres Denken.

Leben unter falscher Identität

Nach ihrem Ausstieg aus der RAF fand Maier-Witt in der DDR Unterschlupf. Mithilfe der Stasi baute sie sich unter dem Namen Angelika Gerlach eine neue Existenz auf, lebte jedoch in ständiger Angst vor Entdeckung. Diese Jahre beschreibt sie als geprägt von Isolation und Einsamkeit – ein Leben in der Lüge, das sie psychisch stark belastete. Erst nach dem Mauerfall begann sie, kritische Fragen zu ihrer Zeit in der DDR zu stellen.

Was Maier-Witt von vielen ehemaligen RAF-Mitgliedern unterscheidet, ist ihre Bereitschaft zur Aufarbeitung. Bereits nach ihrer Festnahme 1990 sprach sie über ihre Erlebnisse und nutzte die Kronzeugenregelung. Obwohl sie nach eigenen Angaben nicht direkt an Tötungsdelikten beteiligt war, sieht sie sich klar als Mittäterin und weigert sich, ihre Verantwortung zu relativieren.

Der schwere Weg der Versöhnung

Ein bedeutsamer Schritt in Maier-Witts Aufarbeitungsprozess war das Gespräch mit Jörg Schleyer im November 2017. Dem Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten trat sie gegenüber, um persönlich um Verzeihung zu bitten – ein Akt, der enormen Mut erforderte und der in ihrer Autobiografie bewegend geschildert wird.

Nach ihrer vorzeitigen Haftentlassung 1995 wandte sich Maier-Witt einem Leben zu, das in scharfem Kontrast zu ihrer Vergangenheit steht. Als Friedensfachkraft im Kosovo und Nordmazedonien arbeitete sie daran, Konflikte gewaltfrei zu lösen – eine Form der persönlichen Sühne, wie sie selbst andeutet.

Eine quälende Selbstbefragung

Maier-Witts Autobiografie ist kein Enthüllungsbuch mit neuen Fakten zur RAF-Geschichte. Vielmehr handelt es sich um ein Dokument der Selbstbefragung, in dem Themen wie Scham, Reue und Verantwortung im Mittelpunkt stehen. Die heute 75-Jährige ringt auch nach all den Jahren noch mit der Frage, wie sie zu einer Person werden konnte, die Gewalt als legitimes politisches Mittel ansah.

In einer Zeit, in der politische Extreme wieder erstarken, bietet Maier-Witts Buch einen wertvollen Einblick in die Mechanismen der Radikalisierung. Ihre schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld macht das Werk zu einer wichtigen Stimme in der Aufarbeitung des deutschen Linksterrorismus – und zu einem eindringlichen Zeugnis darüber, wie schwer der Weg zurück in die Gesellschaft sein kann.

Die Rezeption ihres Buches zeigt, dass ihre Offenheit geschätzt wird. „Ihre Ehrlichkeit ist bemerkenswert und unterscheidet sie von vielen ehemaligen RAF-Mitgliedern, die bis heute schweigen oder ihre Taten relativieren“, urteilt ein Beobachter der deutschen Terrorismusgeschichte. Für die Opfer und ihre Angehörigen kann diese Aufarbeitung zwar keine Wiedergutmachung sein, aber vielleicht ein kleiner Schritt zur Versöhnung mit der Vergangenheit.

Geschrieben von: RadioMonster.FM


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